Donnerstag, 28. Mai 2015

Rezension - Erica de Bary

Horlemann
Rezension


Erica de Bary                                                                                                         
„Hinter dem Seidenhimmel spannt sich die flockige Nacht wie Zunder“
von Dr. Almut Seiler-Dietrich

Als Erica de Bary 1907 in Berlin-Charlottenburg als Erika Kramer geboren wurde, hatte Deutschland noch für 12 Jahre Kolonien in Afrika und anderswo, Frankreichs Kolonialzeit dauerte in Algerien noch 55 Jahre und in Marokko 50 Jahre und Italiens Kolonialzeit in Libyen noch 44 Jahre an. In diese und andere Länder reisten Erica und Herbert de Bary, 1930 noch während der spanischen Kolonialzeit und 1952 nach Marokko, 1954 nach Algerien. Später wurden sie von Sohn Harald und anderen Reisegefährten begleitet.

"Arabisches Märchen" 
 „Reisen und Schreiben“ gehörte für Erica de Bary, zusammen, seitdem sie zum ersten Mal 1930 nach Spanien zu ihrem Verlobten Herbert de Bary unterwegs war. Ganz luxuriös mit einem „Mercedes-Herrschaftswagen“ und den zukünftigen Schwiegereltern gelangte sie bis nach Tetouan, damals eine spanische Kolonie, heute Nordmarokko.
Für Erika war diese erste Urlaubsreise ein „arabisches Märchen“ und ihre Eindrücke fasste sie im Reisebericht „Spanische Impressionen“ zusammen. Dabei waren ihr die Bevölkerung, die politische Situation der Diktatur, die soziale Realität viel unwichtiger als das, was sie sehen wollte, das „Archaisch-unveränderte“, „urzeitlich“ wirkende Landschaften, maurische Paläste und „Gesichter aus alten arabischen Märchen“ - Klischees, die sogar heute noch in Urlaubsprospekten wirken, wenn „die sinkende Sonne mit ihren letzten Strahlen die afrikanische Erde rot aufleuchten lässt, ehe die Nacht sie in tiefes Dunkel und Schweigen hüllt.“

Reisen und Schreiben
Erica de Barys Leidenschaften waren die Literatur, Schriftstellerei, Kunst und das Reisen, und zwar außerhalb Deutschlands, wie sie freimütig zugibt: „Deutschland war uns unwichtig, Vaterland, Militär, Krieg, das war uns fremd“. Sie konnte es sich leisten die aufkommende Not und den Nationalsozialismus als „kleinbürgerliche und kleinkarierte Deutschtümelei“ zu ignorieren. Allerdings waren diese Ansprüche und die Reisen nur realisierbar, weil Herbert und seine Eltern diese Leidenschaften finanziell unterstützten. 1941 bis 1944 konnte Erica ihrem Mann in das von Deutschland besetzte Frankreich folgen. Er wurde als Adjutant und Dolmetscher nach Paris versetzt und entkam so dem geplanten Russlandfeldzug, auf den seine Einheit vorbereitet wurde. Erica arbeitete für die „Pariser Zeitung“ und lernte Schriftsteller aus verschiedenen afrikanischen Ländern kennen, darunter die späteren Präsidenten von Senegal und Madagaskar, mit denen sie auch nach dem Krieg verbunden blieb und die in ihrem Haus in Frankfurt willkommen waren.

Literaturvermittlerin nach dem Krieg
Zwischen 1949 und 1952 blieb Erica de Bary bei der Familie in Frankfurt und übersetzte in Deutschland unbekannte afrikanische Schriftsteller. Sie wurde eine geschätzte Literaturvermittlerin, die in Zeitungen die deutschen Leser der Nachkriegszeit mit literarischen Skizzen und Geschichten unterhielt. Von ihr übersetzte Theaterstücke wurden bald uraufgeführt.

Leidenschaft Sahara
Während in Europa die meisten Menschen unter den schwierigsten Umständen zu leiden hatten, machten sich Erica und Herbert de Bary bald wieder auf den Weg und reisten.
Am meisten beeindruckt waren sie von der Sahara. Herbert fotografierte die Bilder, die später in den Reisebüchern veröffentlicht wurden. Die libysche Oase Ghadames war ein Traum, der 1957 verwirklicht werden konnte. Es folgten Reisen und Bücher über die südlibysche Oase Ghat, später bis nach Kamerun und immer wieder in das Tassili n’Ajjer auf der algerischen und libyschen Seite zu den bekanntesten Felsmalereien der Sahara. Anfangs waren die Bücher, vor allem „Ghadames, Ghadames“ mehr ein fantasievoller Traum und eiserner Wille die Oase zu erreichen als ein Tatsachenbericht. Die folgenden Reisebücher enthielten Beschreibungen der Menschen und ihrer Tätigkeiten, die sie kennenlernten und durch ihre freundliche Neugier drangen sie tiefer in das Leben der Oasen ein, als heutige Besucher. Ihre Ansprüche waren nicht hoch, sie wollten so einfach wie möglich reisen und dabei möglichst viel sehen, heutigen Backpackern ähnlich. Dabei war es ihnen wichtig, das Ursprüngliche, heute würde man sagen, das Exotische zu finden, das sich allerdings in ihren Augen nicht verändern sollte, so wie es der befreundete Forscher Leo Frobenius in seiner „Kulturgeschichte Afrika“ beschrieb, dessen Verachtung für „zivilisierte, d.h. modern denkende und aufgeklärte Afrikaner“ Erica teilte.  

Ihren Lebensabend verbrachte die Einhundertjährige schreibend in Frankfurt, so lange es ging in der Cretzschmerstraße, später in einem Wohnstift. Kinder und Enkel Erica de Barys leben bis heute in Irland und Frankfurt.


Autorin
Dr. Almut Seiler-Dietrich beschreibt das Leben der Einhundertjährigen mit einfühlsamen Worten und lässt den Leser am Leben der Schriftstellerin teilhaben. Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit der Kindheit und Jugend Erika Kramers, ihrer Eltern und Großeltern bis sie 1931 ihren Heriberto heiratete.
In den zweiten Teil, über die Reisen Erica de Barys vor allem nach Afrika, fließen ihre eigenen Erfahrungen mit ein und dies ist erkennbar an vielen Details über afrikanische Dichter und Schriftsteller, die sie zum Teil selbst als Literaturwissenschaftlerin für afrikanische Literatur kennengelernt hatte.
Almut Seiler-Dietrich schreibt flüssig und gut lesbar, auch mit kritischen Gedanken. Sie hatte Gelegenheit Erica de Bary persönlich kennen zu lernen und dies macht das interessante Buch noch authentischer.

Fazit
Erica de Bary macht den Eindruck eines verzogenen Kindes. Sogar noch als Erwachsene musste ihr Mann Herbert sie oft genug ermahnen, geduldig und ruhig zu sein, wenn sie mit ihren Forderungen ihren Willen durchzusetzen versuchte, anstatt auf die einheimischen Bewohner der Oasen zu hören. Besonders deutlich wird dies in ihrem Buch „Ghadames, Ghadames“.
Ihre Mutter Elisabeth tat für sie alles, um ihr ein angenehmes Leben zu gestalten, auch unter schwierigsten Umständen, später nutzte Erica es eigennützig und rücksichtslos aus, sogar im Alter hat sie ihrer Mutter nicht verziehen, dass diese zu ihrer Schwester zog, die sich besser um die Mutter kümmerte.

Erica de Bary schien immer im Mittelpunkt stehen zu wollen, ob als Kind oder später als Schriftstellerin und Übersetzerin afrikanischer Dichter. Ihr Mann Herbert, der auf fast allen Reisen dabei war und ihr erst dieses weitgehend sorgenfreie Leben ermöglichte, konnte sie kaum bändigen und oft genug setzte sie wohl auch gegen ihn ihren Willen durch. Ihre Kinder vernachlässigte sie, doch sie waren nachsichtig. Ob Erica ihrem Mann wirklich dankbar war oder alles, was ihr an Gutem zuteil wurde als selbstverständlich forderte, ist schwer in diesem Buch zu erkennen. Vielleicht brauchte es dieses Durchsetzungsvermögen und die egoistischen Eigenschaften, um in den Zeiten mit zwei Weltkriegen und vielen politischen und wirtschaftlichen Änderungen zu überleben, besonders als Frau.