Mittwoch, 19. August 2015

Rezension: Boko Haram - Der Vormarsch des Terror-Kalifats

Boko Haram

Rezension

MIKE  SMITH

BOKO  HARAM - Der Vormarsch des Terror-Kalifats

Nigeria ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas (170 Millionen Einwohner) und durch seine reichen Erdölvorkommen eigentlich ein reiches Land. Und Nigeria ist zweigeteilt - in den reichen Süden mit christlichen und anderen Religionen und den armen Norden mit muslimischen und anderen Religionen. Die Präsidenten wechseln nach zwei Amtsperioden zwischen Nord und Süd ab, seit Mai 2015 ist wieder Muhammadu Buhari Staatspräsident, der dieses Amt bereits von 1983-1985 innehatte. Soziale, ethnische, regionale, religiöse Spannungen und eine unglaubliche Korruption bringen immer wieder Gewalt hervor und lassen Gruppen wie Boko Haram entstehen.

Der Journalist Mike Smith hat drei Jahre lang in Nigeria bei der Agentur Agence France-Press (AFP) gearbeitet und die Geschehnisse im Land verfolgt. In seinem Buch gibt er einen wichtigen Überblick über die aktuelle Situation im Land, Entwicklung und Aufstieg von Boko Haram, Armut, Korruption und „den Fluch des Öls“.

Ein wichtiges Kapitel beschreibt die Geschichte, die anschaulich die Entwicklung des Landes bis zur Gründung von Gruppen wie Boko Haram darstellt.
Etwa im 8. Jahrhundert verbreitete sich der Islam auf friedliche Weise mit den Händlern in Westafrika, ein Islam, der mit den heutigen Extremisten in keinster Weise vergleichbar war. Die Reiche Kanem und Bornu waren im Mittelalter reiche und stolze Regionen am südöstlichen Ende des Tschadsees und dominierten in Westafrika durch Handel und die Beziehungen erreichten die arabischen Länder des Nahen Ostens. Im frühen 19. Jahrhundert errichtete der Fulbe Osman dan Fodio das Kalifat von Sokoto im damaligen Haussaland.

Im Zuge der europäischen Kolonialisierung Afrikas drangen Engländer von der Küste aus immer weiter in den Norden Nigerias vor. Eisenbahnlinien und Straßen verbanden die Landesteile, Kaufleute und Händler vom Norden ließen sich im Süden nieder und anders herum brachten Leute aus dem Süden ihre Lebensweise in den Norden mit. Die verschiedenen Landesteile sollten miteinander vereint werden und so entstand ein föderaler Staat aus Norden, Westen und Osten, deren Premierminister alle zwei Amtsperioden wechselten. Im Norden blieben die traditionellen Strukturen mit der Verwaltung durch die Emire von Sokoto bis zu Unabhängigkeit 1960 erhalten. Aufgrund seiner Bevölkerungsdichte und seiner Größe erhielt der erste Premierminister aus dem Norden die meisten Sitze. Dieser nutzte die Gelegenheit und verbesserte die Lebensbedingungen für sich und die Bevölkerung im Norden, was zu Spannungen mit dem Süden führte. Als 1956 Erdöl gefunden und gefördert wurde, änderte sich die Lage und der Süden begann die Wirtschaft zu dominieren.
Nach der Unabhängigkeit kam es erneut zu ethnischen Spannungen zwischen den Völkern im Süden und dies löste den Biafrakrieg aus, der von 1967 bis 1970 dauerte. Es folgten etliche gestürzte Präsidenten und leere Staatskassen.

Über alldem steht die unglaubliche Korruption, die das Land beherrscht und Millionen von Naira in den Taschen der Politiker und ihrer Helfer verschwinden lässt, so dass ein sehr reiches Land eine sehr arme Bevölkerung hat. Im Nigerdelta beginnt der Kampf um die Gewinne aus der Erdölproduktion, Erdölpipelines werden in die Luft gesprengt, ausländische Ölarbeiter entführt. Im Norden verbreitet sich die Frustration unter den zahlreichen jugendlichen Arbeitslosen, was letztendlich zum Aufkommen von Gruppen wie Boko Haram führt, die zum Ersten die soziale Ungerechtigkeit anprangern und nachdem es keine Verbesserung gibt, den Staat angreifen. Bombenanschläge und Mord gehören nun im Norden zum Alltag. Nach dem ersten Chef von Boko Haram, Muhammed Yussuf, organisierte sich die Gruppe um Abubakr Shekau neu und noch brutalere Anschläge folgten. Uneinigkeit spaltete die Gruppe und es entstand Ansaru, die auch vor Entführungen, Selbstmordanschlägen und Gebietsbesetzungen nicht zurückschreckt.

Autor:
Der amerikanische Journalist Mike Smith hat seit 2010 den Aufstieg von Boko Haram in Nigeria für die Nachrichtenagentur AFP beobachtet und ist in zwischen in Paris tätig. Zahlreiche Artikel in großen Zeitungen und Magazinen wie „State Magazine“ oder „The Guardian“ sind von ihm erschienen.


Fazit:
Der Autor schildert in seinem Buch den Beginn und Aufstieg der Terrororganisation Boko Harram. Dabei ist das Kapitel über die Geschichte und die Entwicklung Nigerias bis heute sehr interessant und aufschlussreich. Es zeigt, wie sich Gruppierungen wie Boko Haram entwickeln konnten. Der Autor schildert den Lebensweg von Mohammed Yusuf, dem Gründer der Gruppe und seiner Nachfolger und beschreibt die Spannungen zwischen Militär, Regierung, Bürgerwehren und Boko Haram. Die zahlreichen Attentate und später die Entführungen, auch der Schülerinnen in Chibok, deren Schicksal immer noch nicht ganz geklärt ist.
Es wird in den europäischen Medien kaum berichtet, in wie weit der nigerianische Staat, die Armee und die Regierung durch Korruption und Nichtstun den Terroristen in die Hände spielt. Selbst organisierte Bürgerwehren und die Familien der entführten Schülerinnen, die die Organisation „Bring back our Girls“ gründeten, wurden zu Opfern der Regierungsverschleierungstaktik. Alleiniges Opfer ist die Bevölkerung dieses ölreichen Staates - ein Drama.
Ein spannendes und erschütterndes Buch, sehr gut zu lesen und empfehlenswert für diejenigen, die sich für die Hintergründe der Terrorgruppe Boko Haram interessieren.